Japanischer Holzhandwerk Kurs in Kyoto
Ein Monat bei der Suikoushya
Was auf den ersten Blick nach Technik klingt – Kanna, Nomi, Tsugi – wurde schnell zu etwas Tieferem. Der Kurs war mehr als das Erlernen präziser Holzverbindungen. Es war ein Denken in Händen. Ein tägliches Üben von Geduld, Schärfe und Respekt – gegenüber dem Material, dem Werkzeug und der jahrhundertealten Handwerkskunst. In diesem besonderen Monat durfte ich an der Suikoushya International Craft School in Kyoto eintauchen – in die Welt der traditionellen japanischen Holzbearbeitung.


Die Suikoushya International Craft School ist eine kleine, unabhängige Holzwerkstatt im Süden Kyotos. Sie wurde von einem japanischen Zimmermann gegründet, der sein Wissen über traditionelle Holzbearbeitungstechniken an Menschen aus aller Welt weitergeben möchte.
Eröffnet wurde die Schule mit dem Ziel, die Feinheiten des japanischen Holzhandwerks für Interessierte aus unterschiedlichen beruflichen Hintergründen zugänglich zu machen. Seitdem bietet sie unter anderem einen einmonatigen Intensivkurs an, der auf Englisch unterrichtet wird und tief in die traditionelle japanische Werkzeugkunde und Verbindungstechnik eintaucht.
An den Kursen nehmen meist vier bis fünf Personen gleichzeitig teil – die Kleingruppe sorgt für eine persönliche, fast schon meditative Lernatmosphäre. Die Teilnehmenden kommen aus den unterschiedlichsten Ländern und Berufen: Architekt:innen, Designer:innen, Tischler:innen, Kunstschaffende – und auch Menschen, die beruflich ganz woanders unterwegs waren und sich dem Handwerk neu annähern.
Inhalte des Kurses sind die Einführung und das präzise Schärfen traditioneller Werkzeuge wie Nomi (Stechbeitel) und Kanna (Hobel), das Anfertigen eigener Werkzeugkisten sowie das Üben klassischer japanischer Holzverbindungen – komplett ohne Schrauben oder Nägel. Dabei geht es nicht nur um Technik, sondern auch um eine Haltung: Achtsamkeit, Respekt gegenüber dem Material und der Wille zur ständigen Verbesserung.
Schärfen der Werkzeuge
Einen elementaren Teil des Kurses bildet das Schärfen der Werkzeuge – eine Kunst für sich. Es wird gezeigt, wie man mit japanischen Wasserschleifsteinen Schritt für Schritt eine perfekte Schneide herstellt. Dabei kommt es nicht nur auf die richtige Körnung der Steine an, sondern vor allem auf Geduld, Gefühl und Technik.
Besonderes Augenmerk liegt darauf, die Werkzeuge plan auf dem Stein zu führen, den richtigen Winkel zu halten und immer wieder die Schleiffläche gleichmäßig zu benetzen. Eine unachtsame Bewegung, ein falscher Druck – und schon wird aus Präzision ein Kompromiss. Schnell wird klar: Schärfen ist keine Nebensache, sondern die Grundlage für alles, was folgt. Denn nur ein wirklich scharfes Werkzeug ermöglicht die feinen, sauberen Schnitte, für die das japanische Handwerk berühmt ist. Auf den folgenden Bildern sind vier Stadien des Schleifens zu sehen.





Ein fertiges Set von Nomi (Beiteln) und Kanna (Hobel) Messern.
Werkzeugpflege als Haltung
Ein zentraler Gedanke, der sich durch den gesamten Kurs zieht, ist: Das Werkzeug ist eine Verlängerung der Hand. Es ist nicht einfach ein Mittel zum Zweck, sondern ein Spiegel der eigenen Haltung. Wer saubere, präzise Arbeit leisten will, beginnt nicht beim Holz – sondern beim Werkzeug.
Das Vorbereiten, Pflegen und richtige Lagern der Werkzeuge nimmt viel Zeit ein – und das zu Recht. Gut geschärfte und korrekt eingestellte Werkzeuge benötigen keine Kraft, sondern gleiten mühelos durchs Material. Sie erhöhen die Genauigkeit und Effizienz, sie „arbeiten mit“. Wie es ein japanischer Handwerker ausdrückte: „80 % guter Arbeit besteht aus Vorbereitung.“ Wer diese 80 % ernst nimmt, wird die restlichen 20 % mit Leichtigkeit und Freude erledigen.
Werkzeugpflege wird dabei fast zu einer meditativen Praxis. Es geht um Aufmerksamkeit, um Sorgfalt – und um Respekt. Gegenüber dem Material, gegenüber dem Handwerk und letztlich auch gegenüber sich selbst. Denn das vielleicht wichtigste Werkzeug bleibt die eigene Hand. Und auch sie verdient Pflege, Ruhe und Wertschätzung.
Tradition ohne Pathos
Warum eigentlich traditionell arbeiten – in einer Zeit, in der Maschinen schneller, günstiger und standardisierter produzieren? Diese Frage wurde auch in der Suikoushya gestellt. Takamis Antwort darauf war erstaunlich unprätentiös: „Ich mache das nicht, um Tradition zu bewahren. Es ist einfach die sinnvollste Art zu bauen.“
Die traditionellen japanischen Holzverbindungen entstehen nicht aus Nostalgie, sondern aus einem tiefen Verständnis für das Material. Es geht darum, mit dem Holz zu arbeiten, nicht gegen seine Eigenschaften. Um das Wissen, wie man unregelmäßige, lebendige Strukturen nutzt, statt sie zu normieren. Und ja – darin liegt eine ganz eigene Schönheit: in der Koexistenz mit der Natur, in der Klarheit, die aus handwerklicher Erfahrung wächst.
Tradition wird hier nicht als etwas Starres begriffen, das krampfhaft erhalten werden muss. Vielmehr ist sie etwas, das ganz natürlich weiterlebt – in Bewegungen, Denkweisen, Routinen. Sie verändert sich, nimmt Neues auf, ohne ihren Kern zu verlieren.
Das Beeindruckende: Diese Haltung wirkt nicht rückwärtsgewandt, sondern zutiefst lebendig. Vielleicht ist genau das der Grund, warum Menschen aus der ganzen Welt sich zu dieser Art des Bauens hingezogen fühlen. Weil sie spüren: Hier entsteht etwas Echtes. Etwas, das Bestand hat – nicht trotz der Veränderungen, sondern wegen ihnen.
Schnelligkeit durch Entschlossenheit
Was bedeutet es eigentlich, schnell zu arbeiten? Auf den ersten Blick mag man an Geschwindigkeit und physische Bewegung denken – aber in der traditionellen Holzbearbeitung ist es viel mehr eine Frage von Entscheidungen und Urteilsvermögen.
Zwar spielen Vorbereitung, Werkzeuge und das richtige Umfeld eine Rolle, doch der wahre Unterschied liegt in der Fähigkeit, rasch zu urteilen und Entscheidungen zu treffen. Wer in der Werkstatt ständig zögert oder unsicher ist, verliert Zeit. Fehler häufen sich, es wird zurückgegangen und neu überlegt – und schon ist die Arbeit langsamer als nötig.
Das Geheimnis, wirklich schnell und präzise zu arbeiten, liegt darin, Verantwortung zu übernehmen und Entschlossenheit zu zeigen. Wer schnell entscheidet, wie jeder Schritt ausgeführt werden soll, spart nicht nur Zeit, sondern sorgt auch dafür, dass die Arbeit effizient und genau bleibt. Selbst wenn ein Fehler auftritt, kann man mit einer schnellen Entscheidung die richtige Korrektur vornehmen und weiterarbeiten – ohne den Fluss zu verlieren.
Es geht also nicht darum, die Bewegungen zu beschleunigen. Es geht darum, die Zweifel abzulegen und mit klarer Vorstellung und Vertrauen voranzugehen. Wer sich nicht von Unsicherheiten aufhalten lässt, wird feststellen: Schnelligkeit kommt nicht nur durch physische Bewegung, sondern durch Klarheit im Kopf und Entschlossenheit im Handeln.