Zwischen Nacktarbeit und Tabi-Schuhen
Einblicke in die Kleidung japanischer Zimmerleute
Während meiner einmonatigen Weiterbildung an der Suikoushya Craft School in Kyoto erzählte mir Takami Kawai – erfahrener Zimmermann und Gründer der Schule – eine Geschichte, die mich stutzig machte: Früher hätten japanische Zimmerleute nackt gearbeitet. Kleidung sei dabei schlicht als hinderlich empfunden worden, denn die Tätigkeit war rein körperlich. Es ging um Kraft, Präzision, Ausdauer – nicht um Schutzkleidung im modernen Sinn.
Diese Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich selbst grundlegende Aspekte der Arbeitswelt – wie das, was man bei der Arbeit trägt – über die Zeit verändern. Nicht nur aus funktionalen Gründen, sondern auch durch kulturellen Einfluss und gesellschaftlichen Wandel.


Vom Körper zur Kleidung
Laut Kawai arbeiteten viele Zimmerleute in der Zeit vor der Industrialisierung tatsächlich nackt oder nur sehr leicht bekleidet. Der Fokus lag auf Bewegungsfreiheit, Schutz war zweitrangig. Angeblich belegen alte Zeichnungen und Fotografien diese Praxis – allerdings konnte ich bei meiner eigenen Recherche keine eindeutigen Quellen speziell für Zimmerleute finden.
Was sich aber gut belegen lässt: Während der Meiji-Zeit (ab 1868) öffnete sich Japan verstärkt gegenüber westlicher Architektur und Technik. Die Regierung engagierte ausländische Architekten für große Bauprojekte, und japanische Handwerker arbeiteten unter ihrer Anleitung. In diesem Kontext begannen viele von ihnen, sich auch äußerlich an westlichen Vorbildern zu orientieren – etwa durch das Tragen von Mützen und funktionaler Kleidung.
Heute gibt es in Japan keine einheitliche Kleiderordnung für Zimmerleute. Dennoch gelten bestimmte Standards: Kurze Hosen sind unüblich, weil sie keinen ausreichenden Schutz bieten. Stattdessen trägt man robuste Stoffe wie Denim, langärmlige Oberteile und stabile Schuhe. Kleidung soll nicht behindern, aber schützen – vor Splittern, Werkzeugen und der Witterung.
Was die Füße tragen – und warum es darauf ankommt
Ein interessantes Beispiel für spezialisierte Handwerkskleidung sind die Tabi-Schuhe, die bis heute in vielen Gewerken – und teils auch im Alltag – getragen werden. Tabi sind leichte Schuhe mit getrennter großer Zehe, die dem Träger ein besonders direktes Gefühl für den Boden geben. Genau das macht sie bei Zimmerleuten beliebt: Auf Dächern oder schrägen Flächen ermöglichen sie sicheren Halt.
Allerdings haben sie auch Nachteile. Durch die dünnen Sohlen fehlt Dämpfung, was bei langen Arbeitstagen sehr anstrengend sein kann. Dennoch gelten sie als Standard bei vielen traditionellen Bauarbeiten. Wer sie trägt, hat fast das Gefühl, barfuß zu gehen – aber mit deutlich mehr Kontrolle.
Zwischen Tradition und Wandel
Auch wenn sich nicht eindeutig nachweisen lässt, dass Zimmerleute früher tatsächlich nackt arbeiteten, zeigt die Erzählung von Takami Kawai doch eines sehr deutlich: Handwerk entwickelt sich weiter. Und mit ihm alles, was dazugehört – Werkzeuge, Materialien, Arbeitsweisen, ja sogar Kleidung. In dieser Entwicklung spiegeln sich größere Fragen: Wie verändert sich Arbeit? Was bleibt bestehen? Und was ist tatsächlich notwendig – für den Körper, für die Sicherheit, und vielleicht auch für das Selbstverständnis?